Wo der Zaun verläuft
Gedanken zu Donald Trump
von Enzo Solari
13 November 2016
„Don‘t ride the fence“, so heisst es im Lied der schwarzen, kommunistischen Funk-Rap-Gruppe The Coup aus Oakland Kalifornien. „Don‘t ride the fence“ bedeutet wörtlich „Reite nicht auf dem Zaun“. Im Videoclip zum Lied ist immer wieder ein Strichmännchen zu sehen, das auf einem Zaun balanciert. Die Botschaft des Liedes: steh nicht auf dem Zaun, entscheide dich für eine Seite, nur so kannst du was ändern. Dabei erklärt der Leadsänger Boots Riley im ganzen Lied aus proletarischer und schwarzer Perspektive, was für Probleme es in den USA gibt und dass man diese nur mit einer Revolution lösen kann. Das ist es, was wir nach der Wahl zwischen Clinton und Trump wieder verstehen müssen und dabei erneut die Frage klären, wo der besagte Zaun verläuft.
Fast ein normaler Tag
Hillary Clinton ist keine Alternative zu Trump. Das sagte ich mir seit Beginn des Wahlkampfs und noch viel mehr seit der grossen Hillary-Euphorie, die eine unheimliche Harmonie der Guten gegen die Dummen hervorbrachte. Als ich am Mittwochmorgen aber meine Push-Notification las („Trump vorn“), ging‘s mir an den Magen: What the fuck? Ich sass also mit Smartphone und Durchfall auf der Schüssel und überlegte mir, was das jetzt heissen soll.
Wäre Clinton gewählt worden, wäre es ein normaler Tag gewesen. Natürlich, es wäre eine Frau Präsidentin geworden. Für die Frauen hätte sich jedoch nicht viel geändert. Obama war der erste schwarze Präsident – aber wer die letzten acht Jahre nicht gepennt hat, kann sich darüber schon längst nicht mehr freuen. Den von Cops getöteten Schwarzen, hat Obama auf jeden Fall nicht viel gebracht und den Leuten die für Gratis-Essen Schlange stehen auch nicht. Obama bedeutete Krieg (wie viele Länder bombardieren die USA gerade? Sechs? Sieben?), Kapitalismus und alles was dazu gehört. Frauen werden noch immer unterdrückt, die Migrations- und Gefängnispolitik, ja die ganze Ökonomie der USA ist noch immer rassistisch. Und auch wenn nun Liberale und SozialdemokratInnen einem Sieg Clintons nachtrauern, eines hätte sie ganz bestimmt nicht getan: etwas geändert. Hillary Clinton stünde für Kontinuität – im Schlechten.
Clinton wäre ein Staatsoberhaupt im Rahmen der Knigge gewesen, eine Imperialistin comme il faut. Vielleicht noch etwas konventioneller im Stil als ihr Vorgänger – Obama und sein Team inszenierten den mächtigsten Mann der Welt perfekt: mit seinem gewinnenden Lächeln und seinen unzähligen coolen Auftritten im Fernsehen und in den sozialen Medien, wirkte er ganz locker und freundlich. Aber seine Auftritte waren nur Show, denn seine Coolness ist Propaganda und seine Politik ist Krieg. Sein diesjähriger Auftritt beim TV-Liebling Jimmy Fallon, bei dem er sogar in einem Slow-Jam mitsang, war nichts als Werbung für TTIP, das Privatisierungsabkommen, das uns alle das Wasser kosten wird. Und seine Witze über Drohnen beim White House Correspondents‘ Dinner 2010, waren nichts als eine Verniedlichung eines Krieges, der unzählige ZivilistInnen das Leben gekostet hat. Clinton hätte Obamas neoliberale Politik weitergeführt und auch seine Kriege, schliesslich war sie während seiner Amtszeit Aussenministerin. Der Sieg Trumps sollte demnach nicht nur einen Schock bedeuten. Er sollte auch zeigen, wie bei einem Sieg Clintons trotz aller Barbarei der Schock ausgeblieben wäre. Der Mittwoch wäre ein normaler Tag gewesen, weil der hässliche Status Quo noch immer so viele Menschen im Westen beruhigt.
Vor einiger Zeit schon hat MacDonalds entschieden, sein Logo zu ändern. Anstatt dem roten Hintergrund, gab es einen grünen Hintergrund für das gelbe M – das Logo wirkt sanfter, verträglicher. Als Chef der selben Metzgerei, bemalt Trump den Hintergrund seines Logos wieder rot. Er lässt die Anhänger einer sozialen Marktwirtschaft weinen, weil er sich nicht einmal die Mühe macht, so zu tun, als gäbe es Kapitalismus mit Herz. Er zeigt uns offen, was der Kapitalismus schon immer war: ein reicher, weisser Mann.
Revolte
Einverstanden: Trump kann der Weg zu einer neuen Katastrophe sein, das zeigen die rassistischen und sexistischen Übergriffe auf der Strasse am ersten Tag nach seiner Wahl. Die Lösung liegt aber nicht in der nächsten Wahl oder anderen institutionellen Spielen. Wer die Struktur so belässt und sich an ihre Spitze setzt, wird zum Täter oder zur Täterin. Das macht uns Alexis Tsipras in Griechenland gerade vor und aus diesem Grund wäre auch ein Präsident Sanders keine Beruhigung gewesen. Denn der Zaun von dem The Coup im Lied „Ride the Fence“ spricht, verläuft nicht zwischen den Rechtsextremen und den Liberalen oder zwischen den Liberalen und der Sozialdemokratie – er verläuft zwischen Verhandlung und Streik, zwischen den bestehenden Institutionen und dem Widerstand gegen diese Institutionen.
Es ist die bürgerliche Demokratie welche das Tor zu einer noch schlimmeren Zukunft geöffnet hat. Trump hat nun die Möglichkeit, in grossem Stil anzugreifen: die Frauen, die MigrantInnen, die Armen. Nach der alten Losung „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen“, müssen wir uns abermals darüber klar werden, dass es der Kapitalismus ist, der erneut faschistische Tendenzen hervorgebracht hat und dass deshalb auch Wut und Widerstand diesem System gelten müssen. Alle grossen Probleme Amerikas sind struktureller Natur – die Zerstörung der Umwelt, die Unterdrückung, die Ausbeutung, der Krieg und nun Trump.
„Ride the Fence“ von The Coup liefert eine vernünftige Perspektive. The Coup ist nämlich „anti-Republican and anti-Democratic“ und „pro-running up in congress sayin: ‚Fuck it all!’“ Sinngemäss übersetzt, bedeutet das: Ich bin gegen die Republikaner, gegen die Demokraten, ich bin dafür in den Kongress zu rennen und zu sagen: Fickt euch alle! Fickt-euch-alle ist hierbei kein pubertäres, nihilistisches Getue – es bedeutet Revolte. Denn Boots Riley ist auch ein „pro-revolt-in-the-21st-centuarian“, wie er im Lied singt, also einer für die Revolte im 21. Jahrhundert. Genau das ist das Gegenmittel zum Systemfehler Donald Trump. Diese Revolte entsteht gut organisiert, kollektiv, solidarisch, auf unserer Seite des Zauns, ausserhalb der bestehenden Institutionen – weil der Kapitalismus und somit der Faschismus nur so zu schlagen sind. In Oakland auf alle Fälle brannten schon am Abend nach der Wahl die Barrikaden.