Unser Terrorismus-Tabu
Philosophischer Versuch zur Klärung und zur Verwendung des Terrorismus-Begriffs
von Georg Meggle für Telepolis
27 Dezember 2010 (Originalpost)
The only hope of ever winning the “war on terrorism” lies in ceasing to invest in its bankrupt philosophy.
Jackson 2005
Mit diesem Beitrag verfolge ich drei Ziele: (1) Ich will erklären, was Terrorismus ist (T-Semantik); (2) ich will zeigen, an welchen Merkmalen unserer Verwendung dieses Begriffs es liegt, dass “Terrorismus” zu dem Kampf- und Killerbegriff par excellence avanciert ist (T-Pragmatik); und (3) ich will abschließend deutlich machen, dass mit dieser Diagnose bereits alles Nötige zur Erklärung unseres “Terrorismus”-Tabus gesagt ist.[1]
1. T-Semantik
1.0 Wer vernünftig über Terrorismus sprechen will, muss bezüglich der verwendeten T-Begriffe unbedingt zwischen der deskriptiven und der wertenden Komponente in diesen Begriffen unterscheiden.
Genau deshalb spreche ich, um unser Interesse zunächst ausschließlich auf die erstere Komponente, die deskriptive, zu lenken, ab jetzt mit voller Absicht nicht mehr von terroristischen Akten, sondern ausdrücklich nur noch von T-Akten.
T-Akte – das sind “terroristische Akte” MINUS DEREN BEWERTUNG.
1.1 T-Akt – das ist der grundlegende Begriff einer T-Semantik. Mit ihm lassen sich alle anderen T-Begriffe – wie etwa T-Akteur (für “Terrorist”) und auch T-ismus (für “Terrorismus”) – relativ leicht definieren.
1.2 Was ist ein T-Akt? Das verdeutlichen wir uns am besten anhand eines paradigmatischen Falles, dem berüchtigten Cafe-Haus-Bomber:
X, ein Separatist aus der Provinz, setzt im Nebenzimmer des Markcafes der Hauptstadt seines Landes die Zeitschaltuhr einer in seiner Aktentasche versteckten Bombe in Gang, und zwar mit der Absicht, mit dieser Bombe Dutzende von Cafehausbesuchern in die Luft zu sprengen – um so zu erreichen, dass die Regierung daraufhin seine inhaftierten Gesinnungsgenossen in die Freiheit entlässt.
Der Täter setzt hier auf den so genannten Gewalt-Kalkül: Er baut darauf, dass er sein Ziel, die Freilassung seiner Genossen, mit Hilfe von Gewalt erreichen kann. Gewalt ist für ihn ein Mittel zu genau diesem Zweck. Sein Gewaltakt ist nicht Selbstzweck, sondern instrumentell.
Aber – und genau das macht die differentia specifica von T-Akten gegenüber Gewalt-Akten im Allgemeinen aus – in diesen Gewalt-Kalkül ist bei T-Akten ein weiterer Kalkül eingebaut: Der Terror-Kalkül, den man sich am besten mittels der folgenden Ergänzung des Beispiels verdeutlicht:
X erwartet, dass die Entscheidung der Regierung, daraufhin tatsächlich seine Genossen frei zu lassen, sich eben dem von seinem Gewaltakt auf Seiten der Bevölkerung bewirkten Horror verdankt.
Der Täter unterstellt, dass seine Gewalttat ihren Zweck erst mit Hilfe des durch sie induzierten Terrors – d.h. mittels des auf Seiten der Bevölkerung damit produzierten Horrors – erreicht. Bei T-Akten ist auch der mit ihnen ausgeübte Terror kein Selbstzweck; bei T-Akten ist neben deren Gewalt auch der Terror selbst instrumentell.
1.3 Die allgemeine logische Struktur eines T-Aktes zeigt sich somit in folgendem Schema:
1.4 Und nun brauchen wir dieses Schema mit seiner doppelten Instrumentalität (der der Gewalt einerseits und der des Terrors andererseits) nur noch in Worte zu fassen und erhalten somit die Definition:
(T) T-Akte := Akte des (versuchten) Bewirkens von Zwecken mittels Gewalt-induziertem Terror.
Zu differenzieren wäre also, wie man an der Klammer in dieser Definition sieht, zwischen T-Akten im Sinne von bloßen Versuchen einerseits und erfolgreichen derartigen Versuchen andererseits. Das behalten wir jetzt einfach im Hinterkopf.
1.4.1 Natürlich ist dieser allgemeine T-Begriff nicht meine Erfindung. Unsere Definition (T) deckt sich zum Beispiel weitgehend mit der von David Fromkin, die dieser schon 1975 in Foreign Affairs, der auch heute noch führenden Zeitschrift für die amerikanische Außenpolitik, vorgelegt hatte:
Terrorism is violence used in order to create fear; but it is aimed at creating fear in order that the fear, in turn, will lead somebody else – […] to embark on some quite different program of action that will accomplish whatever it is that the terrorist really desires.
DavidFromkin
1.4.2 Der so definierte T-Begriff ist noch sehr allgemein. Er abstrahiert von sehr viel. Zum Beispiel von der Art der Motive bzw. der letzten Ziele des T-Täters. In unserem Ausgangsbeispiel waren die betreffenden Motive bzw. Ziele klar politische (nämlich separatistische). Es könnten aber auch eher religiöse, kriminelle, rassistische etc. sein. Vgl. Fromkin’s: “whatever it is that the terrorist really desires” (a.a.O.). Oder aus all diesen Ingredienzien gemischte.
1.4.3 Unsere Definition (T) abstrahiert insbesondere davon, gegen wen sich die Gewalt richtet, sie abstrahiert davon, von welcher Art die T-Gewalt-Ziele bzw. Gewalt-Opfer sind. Waren die Opfer in unserem Cafe-Haus-Bomber-Beispiel, wie von uns bisher vermutet, beliebige Bürger bzw. Besucher der betreffenden Hauptstadt? Kurz: waren es, wie man hierfür oft sagt: beliebige Unschuldige? Oder waren es etwa die schlimmsten Folterschergen des zu jener Zeit in jenem Lande herrschenden Regimes, die sich in jenem Cafe just an diesem Tag erneut heimlich zur Planung weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit getroffen hatten?
Ob die Opfer von T-Akten Unschuldige – oder wie ich hier lieber etwas technischer und somit etwas distanzierter sage: Nicht-Legitime Gewalt-Ziele (Nicht-LGZ) – waren oder nicht, das macht für die moralische Bewertung solcher Fälle natürlich einen Riesen-Unterschied.
[Streiten wir jetzt nicht über die genaue Definition von Nicht-LGZ: Denken Sie dabei (paradigmatisch!) einfach an Babys und Kids unter drei.]
1.5 Und schon ist klar, wie man, so man das will, ganz einfach dafür sorgen kann, dass T-Akte schon (fast) per definitionem ‘absolut verwerflich’ sind: Man braucht dazu nur Nicht-LGZ als Opfer bereits in die Definition von T-Akten aufzunehmen![2]
1.6 Ob wir T-Akte wirklich generell so eng fassen sollten oder nicht, das ist eine der strittigsten Fragen in der ganzen T-Philosophie.
Ich selbst halte diesen Streit – an dieser Stelle, im Rahmen einer T-Semantik, wohlgemerkt – für völlig witzlos. Semantisch wichtig ist nämlich einzig und allein dies: Dass wir zwischen solchen klar verschiedenen Fällen auch terminologisch klar unterscheiden können. Und das gelingt am besten, indem wir nicht undifferiert einfach von dem “Terrorismus” (pardon: von dem T-ismus) reden, vielmehr von Anfang an mehrere T-Akte-Begriffe – je nach unserem Unterscheidungsbedarf – auseinanderhalten.
Merke also: Es gibt nicht den einen T-Begriff, sondern ein ganzes Spektrum unterschiedlich starker T-Begriffe.
1.7 Ein maximal starker T-Begriff wäre dieser:
(T***) Ein T-Akt ist ein Maximal Starker T-Akt := der betreffende Akt ist ein T-Akt und es gilt: Die T-Gewalt richtet sich und gegen Nicht-Legitime Gewalt-Ziele.
1.8 Schwächere T-Begriffe ergeben sich dann logischerweise durch entsprechende Abschwächungen, z.B. von “direkt” zu “indirekt”, von “mit vollem Wissen” zu “ohne es völlig ausschließen zu können”, etc. Ein sehr weites Feld.
1.9 Fazit: Auch T-Begriffe lassen sich, wenn man nur will, klipp und klar definieren. Und das heißt: Auch eine T-Logik – als die Idealform einer auch formalen Explikation von T-Begriffen – ist keine bloße Schimäre (Vgl. dazu Meggle 2011a, insbes. 31, *-Anmerkung).
1.10 Schlussfolgerung: Auch über Terrorismus könnte man, wenn man nur wollte, rein deskriptiv und damit (zumindest hypothetisch) neutral – nota bene: wert-neutral – sprechen.
Was T-Akte sind? Begrifflich überhaupt kein Problem! Q.e.d.
2. T-Pragmatik
2.0 Nun zur Terrorismus-Pragmatik, d.h. zum öffentlichen Terrorismus-Diskurs, so wie dieser in der Politik, in den Medien und in der mit diesen beiden Bereichen eng vernetzten “Terrorismus-Industrie” (den Think-Tanks wie unseren diversen Sicherheitsfirmen) praktiziert wird.
2.1 Mit diesem Schritt betritt man ein Minenfeld. Wir treffen sofort auf Warn- und Stoppschilder – und, ganz unverhofft (?), sogar auf radikale Denkverbote. Sehen Sie selbst:
- Defining Terrorism is not merely a theoretical issue but an operative concern of the first order. (So das ICT, das International Institute for Counter-Terrorism in Herzliya.)
- Enough of the Definition of Terrorism. (Titel einer Studie des Royal Institute of International Affairs , Malik 2000.) Und schließlich, ich traute zunächst meinen Augen nicht:
- Die UN-Resolution 1566 vom 08.10.2004 verbietet prinzipiell: Jegliche (auch “philosophische”) Erwägung pro und contra einer Rechtfertigung von T-Akten. Und damit in logischer Konsequenz auch bereits jeden Versuch zur Begründung einer wirklich brauchbaren T-Ethik!
Was mich an diesem Verbot echt schockiert, ist nicht das Verbot allein (denn dessen Handschrift zeigt zu deutlich, wer die Feder führte!) – vielmehr der Fakt, dass von diesem Skandal bis heute offenbar niemand auch nur Notiz hat nehmen wollen. Wie lässt sich das erklären? Genau das sei jetzt unsre Frage.
2.2 Nach fast 10 Jahren Arbeit in unserer T-Branche ist meine Diagnose folgende: Wir sind nicht frei. Wir folgen blindlings Denkverboten. Zumindest wir im Westen (dafür ab jetzt kurz: WIR).
Unser Terrorismus-Diskurs – genauer: UNSER (= unser westlicher) Terrorismus-Diskurs – wird durch eine kollektive Terrorismus Soft-Ware (kurz: T-SW) gesteuert, deren Zweck einzig und allein dieser ist: Zu verhindern, dass wir von unserer möglichen begrifflichen Vernunft auch öffentlichen Gebrauch machen.
WIR alle sprechen anders als wir denken könnten. Ein Blick genügt:
Die Klasse der T-Akte unterscheidet sich krass von der Klasse der Aktionen, die bei UNS das “Terrorismus”-Label zugeschrieben bekommen. Nicht alle T-Akte sind bei UNS auch “terroristische”. Und umgekehrt: Nicht alle Aktionen, die bei UNS “terroristische” heißen, sind auch wirklich T-Akte. Diese Differenz zu garantieren – und zugleich zu verschleiern, genau das ist der Zweck von T-SWW – UNSERER westlichen “Terrorismus”-Software.
2.3 Mit Hilfe welcher Sprachregelungen schafft das UNSER Terrorismus-Diskurs? Dazu jetzt nur die ersten Seiten meiner Analyse.
Unsere T-SWW ist insbesondere durch die folgenden Axiome definiert:
(A1) T(X) → X ≠ WIR Terroristen sind nur DIE ANDEREN.
(A2) Wer Terrorist ist, das definieren WIR.
(A3) Terrorismus ist absolut verwerflich.
(A4) Bei Ω ist alles erlaubt.
(A.4.1) T ist ein Fall von Omega
2.4 Das Axiom (A1) findet man so brutal klar formuliert natürlich nur selten. Es steckt jedoch implizit bereits in der Art und Weise, wie das folgende sehr viel speziellere Ausschlusskriterium von UNS in der Praxis gehandhabt wird:
(A.1.1) T(X) → X kein STAAT Staaten sind keine potentiellen T-Akteure
2.4.1 Seine deutlichste Anwendung findet auch dieses Axiom im Kontext von Israel. Von jüdischer Seite begangene politisch-motivierte T-Akte vor der Staatsgründung dürfen auch heute weiterhin – und zwar problemlos – “terroristische Aktionen” genannt werden; nach der Staatsgründung gibt es solche nicht mehr. Der Grund ist klar: “Israelischer Terrorismus” – wer das sagt, verstößt gegen (A.1.1).
Und was für ein Glück für Israel, dass es sich selbst mit einem Gegner im Kampf sieht, der noch gar keinen Staat hat.
2.4.2 Dass außer Israel auch WIR dieses Axiom (A.1.1) nicht strikt anwenden, ist evident. Stichwort: Iran. (Früher: Sowjetunion, Irak, Libyen etc.) Was WIR eigentlich im Sinn haben, ist nämlich eher so etwas wie:
(A.1.1.1) T(X) → X kein demokratischer STAAT
oder
(A.1.1.2) T(X) → X kein mit uns verbündeter bzw. befreundeter STAAT
Im Klartext: Allenfalls UNSERE Feindstaaten sind potentielle T-Akteure. Schurkenstaaten sind nur solche, die gegen UNS sind. Genauer: Nur solche, die WIR als unsere Gegner betrachten wollen. Genau diese implizite Relativität auf UNS macht das Axiom (A.1) explizit. Und zwar nicht nur für Staaten, sondern ganz generell. Auch für alle potentiellen nicht-staatlichen Akteure.
2.5 Das Axiom (A.2) stützt sich auf das erste. Wenn DIE ANDEREN festlegen dürften, wer als Terrorist gilt, könnte es sein, dass Terroristen über diese Klassifikationsmacht selber verfügen dürfen – was völlig abwegig wäre. Dies gilt es auszuschließen. Folglich: Die Definitionsmacht muss in UNSEREN Händen bleiben.
Man beachte, dass in diesem Pragmatik-Kontext Definition etwas ganz anderes heißt als im Kontext unserer Semantik. Nämlich nicht die Formulierung hinreichender und notwendiger Bedingungen dafür, wann ein Akt ein T-Akt ist, sondern: Die Erstellung ganz konkreter Terroristen-Listen. Wie denn überhaupt bei UNSERER Terroristen-Software nicht die T-Akte im Zentrum stehen, vielmehr deren echte oder auch nur potentielle Täter (Individuen oder Organisationen). Terrorist ist, wer auf einer dieser Listen steht.
2.6 Das Axiom (A.3) hatte ich schon in meinem obigen Semantik-Exkurs (in 1.5) kurz erwähnt. Es gilt gemeinhin als der philosophische Beitrag zu UNSERER Software. Dass von diesem Beitrag nicht viel zu halten ist, hatte ich (a.a.O.) schon durchblicken lassen.
2.7 Im Kontext UNSERER Terrorismus-Software hat dieses Axiom den Vorteil, dass es leicht missverstanden werden kann – und dort auch in diesem Sinne genutzt wird: Zur Terrorismus-Software gehört jedenfalls auch:
(A.3*) Terrorismus ist maximal verwerflich.
Während (A.3) selbst nur sagt, dass Terrorismus nie und nimmer rechtfertigbar, also verwerflich unter allen denkbaren Umständen ist, besagt (A.3*), dass Terrorismus das schlimmste aller denkbaren Übel ist, das Böse an sich und dergleichen mehr (die Ausgeburt des Teufels, reine Barbarei etc.).
2.8 Zu (A.4). Dass in diesem Axiom der Term “Terrorismus” gar nicht vorkommt, heißt nicht, dass es für UNSERE T-SWW nicht relevant ist. Im Gegenteil: Es bettet – über den Zusatz (A.4.1) – den Terrorismus vielmehr in eine allgemeinere Software ein: Nämlich in die der Ethik von Gewalt und Krieg.
2.8.1 Wofür steht Ω? Nun: Ω, das ist der absolute Ausnahmefall, die ultimative Katastrophe, die für uns so unvorstellbar schlimm ist, dass wir zu ihrer Verhinderung wirklich alles zu tun bereit wären, selbst dazu, alle – ja, wirklich alle – moralischen Restriktionen über Bord zu werfen.
Die drohende Weltherrschaft der Nazis war für Churchill ein solcher Ω-Fall. Ebenso soll nach (A.4.1) – zumindest FÜR UNS – auch der Terrorismus ein Ω sein. Dass er das ist, dies folgt ja schon aus (A.3).Wäre er keiner, so wäre seine Verwerflichkeit keine maximale.
2.8.2 Um nur ganz kurz klarzumachen, was das heißt: Ω-Fälle konfrontieren uns mit der härtesten aller denkbaren moralischen Fragen. Mit Blick auf den Krieg lautet diese: Kann es Situationen geben, in denen sogar das Begehen von Kriegsverbrechen bzw. sogar das Begehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit moralisch gerechtfertigt, ja sogar zur moralischen Pflicht werden kann? Churchills JA auf diese Frage kennen wir: Das von den Briten selber so genannte Terror-Bombing deutscher Städte.
Ebenso ist man nach diesem Axiom (A.4) bei Ω auch zum Einsatz von Terrorismus berechtigt. Wenn zur Verhinderung von Ω wirklich alles erlaubt ist, dann auch Terrorismus. Das Axiom (A.4) verschafft UNS im Ω-Fall so etwas wie eine besondere Terrorismus-Lizenz. Insbesondere darf Terrorismus somit mit Terrorismus bekämpft werden. (A.4) ist das Zentrum UNSERER Counter-Terrorismus-Ethik.
2.9 Das Problem ist nur: Wenn Terrorismus gegen Ω (speziell also gegen Terrorismus) erlaubt ist, dann kann Terrorismus nicht zugleich absolut – d.h. unter allen denkbaren Umständen – verboten sein. Kurz: (A4) und (A3) widersprechen sich! Und zwar eklatant!
Doch dieser Widerspruch, so UNSER Ausweg, ist nur ein lokaler. Im Kontext von TSW rettet UNS vor ihm das Axiom (A1). Denn: Was WIR tun, kann kein echter “Terrorismus” sein. Ebenso wie: Wenn wir auf einen Ω-Fall hin das tun, was bei anderen Kriegsverbrechen wären, sind WIR trotzdem keine echten Kriegsverbrecher. Da WIR keine Terroristen sein können, ist, was immer WIR tun, niemals Terrorismus. Und damit ist UNSERE WELT, sprich: das Axiomensystem T-SWW, wieder in Ordnung. WIR brauchen (A.1), damit UNSERE Welt wieder in Ordnung ist.
Nur soviel zu einem ersten Blick auf UNSERE “Terrorismus”-Pragmatik.
2.10 Fazit: Diese Software ist, speziell durch die Kombination ihrer Axiome, extrem effizient. Sie macht UNS gegenüber jedem gegen UNS selbst erhobenen Terrorismus-Vorwurf immun.
Doch um welchen Preis! UNSERE Immunisierung basiert auf einer perfekten Doppelmoral. Auch wenn WIR und die ANDEREN wirklich dasselbe täten, es wäre trotzdem nicht dasselbe. Jedenfalls nicht für UNS. Kurz: UNSERE Terrorismus-Software funktioniert nur um den Preis einer abgrundtiefen Diskriminierung DER ANDEREN.
Schlussfolgerung: Wegen dieser Diskriminierung ist UNSERE Software, auch von allen weiteren logischen wie faktischen Problemen ganz abgesehen, von A bis Z moralisch verwerflich.
3. UNSER Terrorismus-Tabu
3.0 Warum folgen WIR dieser Software trotzdem? Warum sprechen wir nicht so, wie wir denken könnten? Ja, warum denken wir nicht einmal selber so, wie wir von unseren begrifflichen Möglichkeiten her denken könnten? Warum dieser Bruch zwischen unserer T-Semantik einerseits und unserem tatsächlichen Terrorismus-Diskurs andererseits?
Man könnte, wie in Teil (1) oben gezeigt, auch über “Terrorismus” vernünftig reden. Warum tun wir es nicht?
3.1 Nun, was wäre denn, wenn wir die Welt nicht durch UNSERE TSW-Brille sehen würden? Ganz simpel: Dann sähen wir die Welt anders; wir sähen eine andere Welt. Denn dann wäre UNSERE Welt – und damit sicher nicht nur UNSERE WELT- eine andere: eine Welt ohne jene Differenz zwischen T-Semantik einerseits und “Terrorismus”-Diskurs andererseits.
3.2 Ohne diese Differenz müssten und würden WIR UNS selbst (und folglich auch DIE ANDEREN) wohl etwas anders sehen. Wir müssten z.B. sehen – und so vielleicht auch einsehen:
Dass der größte T-Akt der Geschichte keineswegs der des 11. September 2001 war, sondern wohl eher die beiden Bomben vom 6. und 9. August ’45;
Dass die größte Ausbildungsstätte für T-Akteure keineswegs im Grenzgebiet zwischen Afghanistan/Pakistan lag und liegt, sondern in North Carolina; Dass die Anderen keineswegs ganz anders ticken, vielmehr eher so wie wir – und umgekehrt; (UNSER Fetisch der angeblich rationalen Strategie, die sogenannte Theorie der nuklearen Abschreckung ist mit der T-Logik mit Ausnahme einer einzigen Negations-Verschiebung völlig identisch.)
Dass WIR nicht per se die moralisch Guten sind;
Dass vielmehr alles in allem die größeren T-Akteure wohl WIR selber sind.
3.3 Diese Selbsterkenntnis widerspräche freilich völlig dem, wie wir uns selber sehen wollen. Psychologen sprechen hier von Kognitiver Dissonanz. Wie unreife Menschen mit einer solchen Dissonanz umgehen, ist bekannt: Mit radikaler Verdrängung. Bei einer Kollektiven Kognitiven Dissonanz ist das nicht anders. UNSERE Terrorismus-Software ist der Filter, der UNS vor unserer eigenen Selbsterkenntnis in Sachen kollektiver Gewalt und kollektiven Terrors schützt.
Und wo bleibt das im Titel dieses Beitrags angekündigte Terrorismus-Tabu?
Tabus sind, wie es in dem besten Buch zu unserem Terrorismus-Tabu-Thema heißt, wie Gespenster.[3] Könnte es denn wirklich sein, dass Sie UNSER T-Gespenst noch immer nicht gesehen haben?
Prof. Dr. Georg Meggle ist Philosoph in Leipzig.
Literatur
- Fromkin, David 1975: “The Strategy of Terrorism”, in: Foreign Affairs, 53:4, 683-698.
- Jackson, Richard 2005: Writing the War on Terrorism. Language, Politics and Counter- Terrorism, Manchester & New York: Manchester University Press.
- Malik, Omar 2000: Enough of the Definition of Terrorism, London: The Royal Institute of International Affairs.
- Meggle, Georg 2003 (ed.), Terror & Der Krieg gegen ihn. Öffentliche Reflexionen, Paderborn: Mentis.
- Meggle, Georg 2011: Philosophische Interventionen, Paderborn: Mentis.
- Meggle, Georg 2011a: “Logik der Abschreckung”, in: Meggle 2011, Kapitel 3, 31 – 54.
- Meggle, Georg 2011b: “Was ist Terrorismus?”, in: Meggle 2011, Kapitel 8, 121 – 144.
- Meggle, Georg 2011c: “’Terrorismus’-Diskriminierung”, in: Meibauer, Jörg & Zimmermann, Ruth (eds.), Hate-Speech / Hassrede, in Vorbereitung.
- Primoratz, Igor 2003: “Staats-Terrorismus und Gegen-Terrorismus”, in: Meggle 2003, 53 – 70.
- Primoratz, Igor & Meßelken, Daniel (eds.) 2010: Terrorismus. Philosophische und Politikwissenschaftliche Essays, Paderborn: Mentis.
- Zulaika, Joseba & Douglass, William A. 1996: Terror and Taboo. The Follies, Fables, and Faces of Terrorism, New York / London: Routledge.