AntiNote: Aus aktuellem Anlass stellen wir hier die Übersetzung der Broschüre: “Ferguson: Mike Brown & die Riots gegen den Rassismus des 21. Jahrhunderts” ein. Sie stammt aus dem autonomen Blättchen Nr. 19 und behandelt Hintergründe und den Ablauf der Proteste und Aufstände im August diesen Jahres.
Rassistische Spannungen in Missouri
Die rassistischen Spannung und Trennung sind konstant in der Geschichte Missouris. 1820 wurde der Missouri-Kompromiss verabschiedet, der Missouri als Sklavenstaat anerkannte, um das „Gleichgewicht der Macht“ zwischen Sklaven- und freien Staaten im Kongress zu bewahren. St. Louis war eines der Haupt-Auktions-Zentren, wo Geschäftsleute und Einzelpersonen Sklaven kaufen und leihen konnten. Im frühen 20. Jahrhundert stieg, aufgrund seines Industriezentrums und dem Reiz von Fabrikjobs die Afrikanisch-Amerikanische Immigration nach St. Louis an. Es kam zu Ressentiments und Spannungen von Weißen gegen die schwarzen Migrant_innen. Schließlich kochten die Spannungen im Sommer 1917 über, als weiße Mobs begannen, Feuer in den Häusern der schwarzen Siedlungen zu legen.
Ressentiments gegen Afroamerikaner_innen blieben über das Jahrhundert hinweg bestehen. Grundstücksmakler_innen und Stadtoberhäupter wirkten zusammen um Schwarze aus den Vorstädten fernzuhalten. Dies wurde durch Bebauungsverordnungen und restriktive Vereinbarungen erreicht.
Diejenigen, die es schafften, sich in ein weißes Viertel einzukaufen, wurden mit Feindseligkeit empfangen. Später in diesem Jahrzehnt begannen diese Barrieren zu fallen und die Weißen zogen sogar noch weiter hinaus, wodurch das entstand, was als „weiße Flucht“ bekannt ist. Zusätzlich dazu sind diese Gegenden bekannt als Rostgürtel, in dem der Rückgang der Industrie verarmte Viertel, unterfinanzierte Schulen und eine sich überall verringernde Lebendigkeit zurückließ. In Ferguson kann man eine weiße Flucht in den 90ern erkennen, als die Stadt zu 73.8 % weiß und zu 25,1 % afroamerikanisch war. Um 2010 veränderten sich diese Zahlen und die Stadt war zu 29,3 % weiß, zu 67,4 % Afroamerikanisch. Das einzige hinsichtlich dessen, was sich in Ferguson nicht änderte, war, dass die Machtpositionen weitestgehend von Weißen besetzt blieben. Das mehrheitlich schwarze Ferguson hat eine sichtbare nur weiße Machtstruktur: einen weißen Bürgermeister, eine Schulbehörde mit sechs weißen Mitgliedern und einem Hispanischen, die kürzlich einen hoch anerkannten jungen schwarzen Schulleiter suspendierte; ein Stadtrat mit nur einem schwarzen Mitglied; und eine zu 6% schwarze Polizei. Dies findet sein Echo in der Anzahl der Belästigungen und unfairen Behandlung, die den Bewohner_innen von Ferguson widerfährt. Im vergangen Jahr waren von 86% der Stopps durch die Polizei, von 92% der Durchsuchungen und von 93% der Festnahmen in Ferguson Schwarze betroffen – trotz der Tatsache, dass Polizist_innen mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit Schmuggelware bei schwarzen Fahrer_innen fanden (22% im Vergleich zu 34% Prozent bei weißen Fahrer_innen). Das Endergebnis in Ferguson ist ein Beispiel wild gewordener weißer Macht.
Michael Brown machte seinen Abschluss in einem nicht anerkannten Schulbezirk, der kurz bevor er getötet wurde, abgeschafft wurde. Ihm und seinen Mitschüler_innen – besonders die Streber_innen, die in einen besseren Schulbezirk wechseln wollten – wurde gesagt, dass bestimmte Bezirke in der Region sie nicht wollten. Es ist also keine Überraschung, dass der Mord an Mike Brown das Ventil für die Ungerechtigkeiten und den Missbrauch, die durch Handlungen von Polizeibrutalität erlitten wurden, war. Viele berichten von ihren Erfahrungen mit Polizeigewalt, die sie nun seit einiger Zeit erlitten haben.
James Williams erlebte als 10 Jähriger den Tod seiner Mutter, als sie während einer Drogenrazzia von der Polizei erschossen wurde, da sie ein „leuchtendes Objekt“ schwang. Der Staatsanwalt Robert P. Mc Culloch des St. Louis Bezirks lehnte ab, den Bullen anzuklagen, der seine Mutter erschossen hatte. Es ist der selbe Staatsanwalt, der für den Prozess wegen der Erschießung Mike Browns zuständig ist. Ein weiteres Beispiel brutaler Gewalt kann im Verprügeln des unschuldigen Henry Davis gesehen werden, der für jemand anders gehalten und festgenommen wurde, brutal geschlagen und dann verurteilt für die Zerstörung von Eigentum für das „Bluten auf Polizeiuniformen“. Die frühere Polizistin aus Ferguson, Missouri, Kim Tihen, die an diesen Misshandlungen beteiligt war, ist jetzt Teil des Stadtrats, in dem sie die fünfte Weiße von 6 ist (einer ist Latino).
Die Erschießung von Michael Brown
Das Narrativ der aktuellen Erschießung ist ein Kampffeld, auf dem der Gewinner die Geschichte definieren und das Ereignis, seine Konsequenzen und seine tieferen Wurzeln legitimieren oder delegitimieren kann. Da die Tötung von mehreren Nachbar_innen beobachtet wurde, basiert die folgende Beschreibung auf ihren Berichten ebenso wie auf den Ergebnissen der Autopsie.
Am Mittag des 9. Augusts 2014, Samstag, gingen der 18-jährige schwarze Michael Brown und sein Freund Dorian Johnson auf dem Nachhauseweg vom Lebensmittelladen eine Straße in ihrem Viertel entlang. Hinter ihnen fuhr der weiße Polizist Darren Wilson in seinem Auto und sagte den beiden jungen Männern, sie sollten die Straße verlassen und den Gehweg benutzen. Er fährt weiter, aber als er bermekt, dass die beiden seinem Befehl nicht folgen und weiter auf der Straße gehen, dreht er um. Er hält sein Auto direkt neben ihnen an und als er rausspringen will, schlägt die Tür zurück, weil sie aufgrund des geringen Abstandes zwischen Brown und dem Auto gegen diesen geschlagen ist. Wilson packt Brown durch das Fenster und fängt an ihn zu würgen und als Brown versucht, sich aus seinem Griff zu befreien, gibt der Bulle einen Schuss ab. In den Sekunden der Verwirrung rennen die beiden jungen Männer los, während Wilson aus seinem Auto steigt und auf Michael Brown zielt. Er dreht sich um, nimmt seine Hände hoch und sagt „Nicht schießen“ – aber der Bulle tut genau das. Mindestens 6 Kugeln treffen Michael Brown, die ersten vier in den rechten Arm und die Schulter. Zeug_innen sagen, dass Brown in diesem Moment in die Knie ging, niedergebeugt und und aufgebend, noch am Leben. Wilson schießt ihn zwei weitere Male in den Kopf. Die spätere Autopsie bestätigt die Zeug_innenaussagen und enthüllt, dass alle Schüsse von einer langen Entfernung abgefeuert wurden, was die Aussage, die von der Polizei veröffentlicht wurde, widerlegt die besagt, dass es einen Kampf um die Knarre des Bullen gab. Dadurch wird deutlich, dass es eine Exekutionsgleiche Tötung war.
Leute versammeln sich schnell am Ort der Tötung und die Nachricht über einen jungen Mann, der von einem Bullen getötet wurde verbreitete sich schnell in der Gegend.
Chronik der Ereignisse
Sonntag, 10. August
Menschen aus der Nachbarschaft legen Rosen nieder an dem Ort, an dem Michael Brown getötet wurde und gehen gemeinsam zur örtlichen Polizeistation, um eine offizielle Stellungnahme bezüglich des Vorfalls und den Name des Mörders zu fordern. Dies wird verwehrt und Polizeireihen versuchen, die Leute zurückzudrängen. Abends gibt es eine Mahnwache mit vielen Kerzen vor dem Häuserblock, in dem Michael Brown lebte. ca 1500 Leuten ziehen anschließend Slogans rufend durch die Gegend. Die Bullen vor Ort sind gestresst, es ist offensichtlich, dass sie nie zuvor mit einer solchen Demo umgehen mussten. Während der ersten Stunde des Protests versuchen die meisten Leute, die Konfrontation mit den Bullen zu vermeiden, aus der Angst heraus, ebenso erschossen zu werden. Aber als Bullenketten versuchen, die Demo zu stoppen, geraten die Leute außer sich und fangen an, Flaschen auf sie zu werfen.
Die Bullen fordern Verstärkung an, die dann auch angehalten und angegriffen wird, mehrere der Fenster der Bullenautos zerbrechen, Applaus und Jubeln ist zu hören. In diesem Moment haben die meisten Leute die Angst, erschossen zu werden, verloren. Es sind nicht nur junge Männer, die die Polizei angreifen, Geschlecht und Alter variieren. An diesem Punkt wird offensichtlich, dass die Gegend nun den Demonstrant_innen gehört. Obwohl es Uneinigkeiten unter ihnen bezüglich der Strategien und dem Level an Gewalt gegenüber der Polizei gibt, gehen die Leute respektvoll miteinander um und betrachten sich gegenseitig als Gefährt_innen in einem Kampf gegen rassistische Polizeigewalt. Mit dem Anbruch der Nacht, beginnen die Leute zu plündern und die QuickTrip-Tankstelle niederzubrennen, von der gesagt wird, dass von hier aus die Bullen gegen Michael Brown gerufen wurden. Von nun an werden die Ruinen der Treffpunkt für die Rebellierenden, für ihre Kommunikation und Diskussionen. Mehrere andere Geschäfte werden ebenfalls geplündert.
Während der ersten Nacht gehört die Gegend komplett den Leuten, zurückerobert von einem Riot vollen Ausmaßes. Die Bullen versuchen, die Autorität wieder zu etablieren, indem sie wahllos Leute angreifen. Es wird gesagt, dass die ersten Plünderungen zugelassen wurden, weil die Menge ihnen sonst die Rechnung dafür gegeben hätte, und sie nicht die Kapazitäten hatten, sie zu kontrollieren. Erst als die Demonstrant_innen den Wal-Mart erreichen, begannen sie, sich Sorgen zu machen, weil sie wussten, dass es eine Waffen- und Artillerie-Abteilung gab.
Montag, 11. August
Die Eltern von Michael Brown halten die erste Pressekonferenz ab. Die Demonstrationen gehen während dem Tag weiter, die Straßen sind entweder durch die Rebellierenden oder die Bullen blockiert. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Leute mit der lokalen Polizei ohne Riot-Ausrüstung konfrontiert, dann wird die neu ausgerüstete lokale Riot-Polizei reingeschickt. In der Nacht intensivieren sich die Zusammenstöße, die Bullen verstärken den Tränengasbeschuss, Gummi- und Holzgeschosse werden auf Alle, die auf der Straße sind, abgefeuert. Die Gegend sieht langsam aus wie ein besetztes Kriegsgebiet.
Dienstag, 12. August
Ähnliche Szenen wie am vorigen Tag, die Situation verschärft sich, als im Laufe des Tages Zusammenstöße ausbrechen.
Mittwoch, 13. August
Der Aufruhr geht weiter, Soli-Aktionen und Erklärungen werden durch die sozialen Medien verbreitet. In der Zwischenzeit fängt die Polizei an, Journalist_innen festzunehmen und anzugreifen, um sie aus der Gegend weg zu bekommen. Ein Al-Jazeera-Kamera-Team wird mit Tränengas beschossen, als es versucht, einen Livestream zu installieren.
Donnerstag, 14. August
Die Hacker_innen-Gruppe Anonymous droht, die Identität und Informationen über den Bullen, den sie für den Mörder Michael Browns halten, zu veröffentlichen.
Der Gouverneur verändert die Polizeistrategie und setzt den Highway Streifenpolizisten Ron Johnson als Verantwortlichen für den Polizeieinsatz ein. Das ist ein billiger Versuch, das Bild einer hochgradig militarisierten und aggressiven Polizei zu mindern. Immer mehr Leute sind außer sich, Solidarität verbreitet sich weiter und die Menschen leisten weiter Widerstand, eine wachsende Zahl von Menschen übernehmen militante Strategien sich gegen die vergrößerte staatliche Besetzung zu wehren. Der Staat benötigt eine Deeskalation und eine Befriedung der Situation.
Ron Johnson ist ein schwarzer Bulle und wuchs selbst in Ferguson auf. Unter seiner Führung wird der Poli-zei befohlen, aufzuhören, Tränengas und Gummigeschosse zu benutzen, die militarisierte Polizei wird von den Demonstrationen abgezogen und wartet außer Sichtweite, während die reguläre Polizei in kleinerer Anzahl das Geschehen überwacht. Als Teil einer Image Kampagne, lässt sich Johnson fotografieren, wie er an einer friedlichen Demonstration teilnimmt und einen Community Aktivisten umarmt. Das Deeskalationskonzept scheint für diesen Tag und diese Nacht zu funktionieren.
Freitag, 15. August
Fergusons Polizeichef veröffentlicht den Name von Michael Browns Mörder: Darren Wilson. Wahrscheinlich ist dies auf den wachsenden Druck der Anonymous Aktion und die Wut auf den Straßen zurückzuführen. Aber auch Präsident Obama hatte zuvor „mehr Transparenz“ gefordert. Definitiv ist Wilson das Bauernopfer in dieser fortschreitenden Befriedigungsstrategie.
Allerdings ohne große Risiken, weil er den Staat bereits zusammen mit seiner Familie und ohne irgendwelche rechtlichen Anklagen verlassen hat.
Auf der selben Pressekonferenz, ziehen die Bullen eine Hetzkampagne gegen Michael Brown auf, indem sie ihn beschuldigen, kurz vor seinem Tod einen Laden ausgeraubt zu haben. Einige Menschen, sichtlich erleichtert, nehmen diese Geschichte auf, um die anhaltenden Proteste und Riots zu delegitimieren und Brown als Kriminellen darzustellen. Andere sind wütend über diese respektlose Hetzkampagne. Browns Eltern beschuldigen die Polizei, dass sie nicht nur das Leben ihres Sohnes, sondern auch sein Bild zerstört haben. Einige sagen, dass Michael Brown unschuldig und eine schüchterne und häusliche Person war. Und einige Community Anführer_innen und Aktivist_innen aus der Nachbarschaft, sagen nicht so viel in der Öffentlichkeit, sondern handeln: in der Nacht brechen erneut Riots aus. Die Leute plündern ein weiteres Mal und unter den kollektivierten Läden befindet sich der, von dem behauptet wird, dass Michael Brown dort gestohlen hatte.
Samstag, 16. August
Am frühen Morgen ist sowohl die Ruhe als auch das Polizei-Deeskalationskonzept von Donnerstag verschwunden. Im Laufe des Wochenendes steigt die Zahl der Unruhen und wieder wird die Riot Polizei eingesetzt, die die Rebellierenden mit Tränengas und Gummigeschossen angreift. Der Gouverneur ruft den Ausnahmezustand aus und kündigt eine Ausgangssperre für die Nacht an. Die Leute widersetzen sich dieser massiv. Eine Gruppe von 150 vorwiegend jungen Militanten baut Barrikaden. Sie ist vorbereitet auf eine Konfrontation mit der Polizei, bewaffnet mit Flaschen, Steinen, Molotovs und Knarren („Keine Gerechtigkeit – Keine Ausgangssperre“, „Wir sind bereit“).
Sonntag, 17. August
Eine große Menschenmenge versucht, zum Kommandozentrum der Polizei zu kommen, das außerhalb des Viertels neben einem Parkhaus liegt. Die Bullen schlagen die Menge mit großer Gewalt zurück. Die Plünderungen gehen weiter. Es gibt Schüsse auf eine Bullenwanne und Bullen werden von einem Dach aus mit Steinen und Molotovs angegriffen. Die Militanten scheinen sich weiter zu organisieren und ihre Pläne zu schmieden. Die Polizeikräfte als staatliche Okkupanten zu begreifen ist sehr etabliert im Viertel und Menschen versuchen, die Polizei daran zu hindern, die Straßen zu betreten und kämpfen, um sie zu verjagen. Die Bullen greifen aggressiv Personen an, sind aber zu ängstlich, um einzeln in den Straßen rumzustehen. Wannen von SWAT-Teams rasen durch die Straßen und jagen Menschen. Ein Rebellierender wird ins Bein geschossen, als eine Wanne vorbeifährt. Es wird gesagt, dass dies die gewaltvollste Nacht während der Ferguson Krise ist.
Montag, 18. August
Der Gouverneur zieht die Nationalgarde, eine auf Freiwilligen basierende innerstaatliche Militärreserve, hinzu. Er erklärt ebenso die Ausgangssperre für beendet, da es offensichtlich ist, dass die Leute diese nicht befolgen und sie die Atmosphäre aufheizt. Außerdem werden die Ergebnisse der Autopsie Michael Browns veröffentlicht. Obama erklärt, dass er den Generalstaatsanwalt Eric Holder nach Ferguson schicken wird, um den Fall zu untersuchen und mit Community Führer_innen zu sprechen. (Ein_e Generalstaatsanwalt_in ist eine Art Staatsanwalt_in und Justizminister_in. Eric Holder ist der erste Schwarze Generalstaatsanwalt in der Geschichte der USA.) Nachts gehen die Zusammenstöße weiter, die Bullen schießen direkt auf Rebellierende, die wiederum zurückschießen.
Dienstag, 19. August
Capt. Ron Johnson, der immer noch die Polizeikräfte kommandiert, ruft die Leute dazu auf, tagsüber zu protestieren aufgrund „gefährlicher Dynamiken während der Nacht“. Die Bullen versuchen den Rebellierenden ihren zentralen Treffpunkt wegzunehmen, indem sie die Ruinen von QuickTrip umzäunen. Nachmittags verbreitet sich die Nachricht, dass die Bullen erneut einen schwarzen Mann auf einer Straße in St. Louis erschossen haben, nicht weit von Ferguson entfernt. In Ferguson verkleinert sich die Zahl der Rebellierenden und der Zusammenstöße. Die Nacht bleibt relativ ruhig.
Mittwoch, 20. August
Generalstaatsanwalt Holder trifft sich mit Community Führer_innen, FBI Ermittler_innen und der Grand Jury, um „Frieden und Gerechtigkeit“ einzuführen. Tag und Nacht bleiben relativ ruhig, dank Community Aktivist_innen, die einen befriedenden Effekt auf die Jugendlichen haben, wie Ron Johnson es formuliert. Die Polizei veröffentlicht die bisherigen Festnahmen: insgesamt 155, 123 davon dafür angeklagt, sich geweigert zu haben, zu zerstreuen, einige andere für den „ungesetzmäßigen Gebrauch von Waffen“. Das Büro des Gouverneurs wird von Unterstützer_innen blockiert, die 90Jährige Holocaust-Überlebende Hedy Epstein wird festgenommen. Am Montag, den 25. August, findet das öffentliche Begräbnis von Michael Brown statt.
Nähere Analyse
Die USA sind ein global aktives Empire, das auf einer Geschichte von rassistischen und Klassen-geteilten Genoziden aufgebaut ist, mit einer Struktur, die grundsätzlich als solche bis heute besteht. Ein Empire dieser Art, das auf größeren Einfluss und Produktion außerhalb seines staatlichen Territoriums zielt, in anderen Worten, konstant Kriege auf der anderen Seite des Globus führt, kämpft den gleichen Krieg auch im Innern. Obwohl die permanente Krise und Konflikte präsent sind, muss der soziale Frieden für die Reproduktion des Empires erzwungen werden. Ein Deckel muss auf den kochenden Topf gesetzt werden, jede Äußerung des Widerspruchs muss zum Schweigen gebracht oder in die Worte der herrschenden Klasse gefasst werden, jeder Ausbruch der bestehenden Konflikte muss unterdrückt werden. Während dies geschieht sind Begriffe wie Krieg und Frieden, Front und Hinterland nicht voneinander zu trennen, sondern ihre gegenseitige Bedingungen. Wir haben gesehen, dass die (im Moment des Schreibens immer noch anhaltenden) Proteste und Riots nach dem Tod von Michael Brown schwer zu stoppen und zum Schweigen zu bringen waren. Während der ersten Tage versuchten die Bullen aggressiv, jede Ansammlung von Menschen zu zerstreuen und die Medien zum Schweigen zu bringen. Als dies keinen Erfolg zeigte und sich die Ausbrüche des Konflikts sogar noch vergrößerten, fingen sie damit an, Deeskalations- und Befriedungsstrategien anzuwenden. Jetzt, inmitten der fragwürdigen und instabilen Ruhe der letzten Tage, wurde eine neue Debatte über Rassismus in den USA ausgelöst. Wo diese hinführen wird, ist noch nicht abzusehen.
Wir haben hier auch beschrieben, dass die Ermordung Michael Browns auf einer tiefer liegenden sozialen Struktur von Klassen und rassistischer Trennung mit einer langen Geschichte beruht. Weil die Kontinuität dieser Geschichte nicht gebrochen werden wird und die Trennung nicht durch die überwunden werden wird, die von ihr profitieren, sondern von denen, die gegen diese kämpfen, finden wir es wichtig, einen Blick auf das volle Ausmaß der Aufstandsbekämpfungsstrategien, mit denen wir konfrontiert sind, zu werfen.
Aufstandsbekämpfungsstrategien
Die offensichtlichste Kraft, die die Aufstände bekämpft, ist die Polizei. In den frühen 1990ern, nach dem Zerfall der Sowjetunion und dadurch dem Verlust eines strategisch wichtigen äußeren Feindes, besaßen die USA ein extrem ausgebautes Militär. Eine Entwaffnung würde zu einer Verringerung der Produktion führen. Deshalb wurde der Transfer militärischen Equipments vom Verteidigungsministerium an lokale Behörden erlaubt. In den folgenden Jahren sammelten die regulären, lokalen Bullenwachen schwere militärische Ausrüstung und Spezialkommandos wurden ausgebildet. Dies macht schwer ausgerüstete Truppen sogar in den kleinsten Regionen erreichbar. Mit dem zunehmenden Fokus der NATO auf crowd control (Aufstandsbekämpfung) und die Occupy-Bewegung in den USA 2011/2012, beginnen die Bullen, diese Ausrüstung und die militärischen Taktiken gegen Demonstrationen und Aufstände anzuwenden.
Die Bullen haben in Ferguson folgende Ausrüstung verwendet:
Camouflage Uniformen für ein einschüchterndes und autoritäres Erscheinungsbild, Pfefferspray, Schlagstöcke, Handfeuerwaffen, Automatikgewehre und Scharfschützenknarren, alle auf Rebellierende und Journalist_innen gerichtet, mehrmals abgefeuert, Granatwerfer, Tränengasbeschuss und Lärmgranaten, Gummi- und Holzgeschosse, Schrotflinten, mit denen Gummigeschosse abgefeuert wurden (Dutzende kleiner Gummigeschosse), gepanzerte Personentransporter, mit Bullen bereit um runterzuspringen oder von dort zu schießen, wenn sie vorbeifahren, Langstrecken Akustikgeräte (Long Range Acoustic Device = LRAD), eine Lärmkanone, die normalerweise auf dem Dach eines LKWs befestigt wird. Der Lärm, den sie macht, ist nicht nur schmerzhaft laut, sondern auch auf einer Frequenz, die psychische Instabilität, starkes Unwohlsein und Panik verursacht. Drohnen und Helikopter zur Überwachung
In den ersten Tagen der Michael Brown Unruhen wurde dieses Equipment exzessiv zu ihrer Einschüchterung und Niederschlagung verwendet. Als offensichtlich wurde, dass sich die Leute nicht von dieser Machtpräsentation einschüchtern ließen, sondern stattdessen viel mehr außer sich gerieten und sich in Reaktion darauf begannen, als Militante zu organisieren und als Szenen des offenbar anhaltenden Bürgerkriegs international öffentlich bekannt wurden, setzten die Staatsbeamt_innen und ihre Helfer_innen ein Deeskalationskonzept ein. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass die exzessive Gewalt der ersten Tage nicht notwendigerweise eine Überreaktion ist, sondern vielmehr ein Versuch, die Wut der Leute so schnell wie möglich zu ersticken. Als das nicht funktionierte, wurde weiter versucht die Menge zu kontrollieren und Zeit zu gewinnen, bis eine „bessere“ Strategie konzipiert und ausgeführt werden konnte.
Dieses Deeskalationskonzept in Ferguson wurde offiziell angefangen zu erproben, als Capt. Ron Johnson die Führung übernahm. Allein seine Person ist bereits Teil des Konzepts, da er ein schwarzer Bulle aus der Gegend ist, der behauptete, „die Proteste zu verstehen“. Die vorherige offen sichtbar rassistische Polizeistruktur vernebelt ihr Antlitz. Unter seinem Kommando wurden die Proteste erlaubt, so lange sie „friedlich und gewaltfrei“ blieben, überwacht von ein paar Offizieren in gewöhnlichen Uniformen, während die gleichen militärischen Polizeikräfte der Tage davor außerhalb der Gegend warteten, bereit einzugreifen, falls nötig. Johnson erklärte, dass sich die Zeiten in Ferguson jetzt verändern würden und die Community von den Bullen akzeptiert werden würde. Das Deeskalationskonzept ist natürlicherweise stark begrenzt und funktioniert nur, wenn die Mehrheit der Leute gehorcht und sich beruhigt. Erst für einen Tag erprobt, hatte das Konzept seine erste Krise mit den erneuten Riots aufgrund der Hetzkampagne gegen Michael Brown. Diese setze gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Namens seines Mörders ein. Das heißt nicht, dass das Deeskalationskonzept vergessen wurde, aber dass es verstärkt werden und mit anderen mlitärischen Strategien verbunden werden musste.
Eine davon war eine Nacht der Ausgangssperre, die für das Wochenende angekündigt wurde, natürlich dann, als eine größere Masse an Personen auf die Straßen gehen würden. Sie machte es legal möglich, jede_n, die_der nachts auf der Straße war, festzunehmen und hatte zum Ziel, die Straßen durch Festnahmen und das Einschüchtern von Menschen zu säubern. Nicht ohne Grund fanden die meisten Festnahmen in der Zeit von der Ausgangssperre statt, die Mehrzahl davon aufgrund von „Verweigerung der Zerstreuung“. Die Ausgangssperre ist ein Werkzeug, um die Bewegungsfreiheit in der Gegend einzuschränken. Ebenso wie die Bullenketten und Checkpoints, welche die Gegend durchschneiden, die das Passieren jeglicher ziviler Autos verhinderten und es praktisch unmöglich machten, zu Fuß durchzukommen. Es ist unnötig zu sagen, dass der gesamte öffentliche Verkehr schon eine ganze Weile vorher eingestellt wurde. Die Bullen schneiden die Gegend von der Außenwelt ab und teilen sie selbst in kontrollierbare Stücke. Leute widersetzten sich massiv der Ausgangssperre, was zu einer Intensivierung der Zusammenstöße führte; Menschen bereiteten sich auf militante Angriffe auf die Bullen vor und mehr Menschen realisierten den Terror der staatlichen Besetzung. Es ist unklar, ob die Ausgangssperre aufgrund dieser Intensivierung und anhaltenden Ungehorsams eingestellt wurde oder einfach nur weil das Wochenende vorbei war und es keinen weiteren Bedarf dafür gab.
Fakt ist, dass die Leute in diesen Tagen militanter wurden und die Bullen in manchen Situation ernsthaft in Gefahr gerieten. In den Nächten der heftigsten Zusammenstöße, mussten sie ihre Präsenz auf eine Art und Weise ändern, die die Aufstellung der staatlichen Besetzung am sichtbarsten machte.
Vor dem Bekämpfungsgebiet befindet sich das Bullenhauptquartier, ihre Kommandozentrale. Auf einem großen Parkhaus eines Einkaufszentrums. Dieses Hauptquartier ist ein strategisch wichtiger Ort, mit einer großen Hauptstraße, die direkt in die Nachbarschaft führt. Entlang dieser Straße befinden sich schwere Checkpoints, an jeder Ecke stehen volle Bullenautos, entlang der Straßenseiten Wannen mit Maschinengewehren auf ihren Dächern, die auf die vorbeifahrenden Autos zielen und sie kontrollieren. Am Ende dieser Straße, näher der Nachbarschaft, stehen schwere Bullenketten und weitere Checkpoints, die Leute kontrollieren oder davon abhalten, die Gegend zu betreten. Außerdem halten sie die Leute innerhalb der Gegend davon ab, diese zu verlassen. Innerhalb der Konfliktzone befinden sich weitere Bullenketten, die die Bewegungsfreiheit einschränken oder die Massen daran hindern, sich an einen bestimmten Ort zu bewegen. Gruppen von Bullen stehen an Straßenecken, überwachen und greifen ein. Manchmal wurde dies zu gefährlich und dann fuhren bewaffnete Fahrzeuge durch die Straßen der Nachbarschaft, die alle auf der Straße schnell angriffen, Tränengas schossen, Gummigeschosse oder scharfe Munition und dann wieder verschwanden.
Eine andere wichtige Waffe der Aufstandsbekämpfung ist Information. Die Leute sollen keine Informationen aus irgendwelchen Quellen bekommen. Die einzigen Informationen, die sie bekommen sollen, waren die staatlichen. Nicht nur, dass die Bullen Journalist_innen angreifen und festnehmen und sie in ihrem kontrollierten Hauptquartier festhalten, wo die einzige Person, mit der du sprechen kannst, der Sprecher der Bullen ist, sondern ebenso wurde das Kabelfernsehen in Ferguson abgestellt. Aber nicht alle Sender, da ansonsten die Leute aus ihren Häusern kommen und auf die Straße gehen würden. Zeug_innen sagen, dass sie den Disney Kanal empfangen konnten, aber keinen Nachrichtensender. Ein Informationsmonopol wird dazu verwendet, um Wissen vorzuenthalten und stattdessen Befehle zu erteilen, Diskurse in eine bestimmte Richtung zu lenken und Rebellierende zu deligitimieren und zu entmutigen, so wurde Michael Brown beschuldigt, ein Krimineller zu sein.
Zuletzt wollen wir über den befriedenden Effekt, den der sogenannte soziale Dialog hat, schreiben. Wahrscheinlich ist dies einer der essentiellen Aspekte der Aufstandsbekämpfung und reproduziert eine „funktionierende“ Gesellschaft entlang der Bedürfnisse des Kapitalismus und der rassistischen Ungleichheit. Die Beziehung zwischen den Menschen und dem Staat ist nicht nur eine einfache Auseinandersetzung, Aufstandsbekämpfung ist nicht nur Tränengasbeschuss auf eine Menschenmenge. Der Staat hat den Fuß in unserer Tür und kontrolliert uns nicht nur mit brutaler Gewalt, sondern auch mit Dialog und Kompromissen. Bullen, Konservative und Präsident Obama haben Community Führer_innen, Aktivist_innen und Sprecher_innen dazu aufgerufen, in den Dialog mit ihrer Nachbarschaft zu treten, sie zu beruhigen und mit den Staatsbeamt_innen selbst zu reden. Eins der ersten Dinge die Ron Johnson, Kommandeur des Bulleneinsatzes in Ferguson, tat, war, sich dabei fotografieren zu lassen, wie er einen der bekannten Community Aktivist_innen umarmt und zu Anfang des Deeskalationskonzepts und mit pro-staatlich orientierten Rebellierenden für „soziale Gerechtigkeit“ marschierte. Obama schickte Generalstaatsanwalt Holder nach Ferguson, um mit Community Aktivist_innen und Sprecher_innen zu reden und einen Dialog zu eröffnen. Im Allgemeinen gehören diese „Community Führer_innen“ einer bestimmten Gruppe an, die ein bestimmtes soziales Kapital und Wert und Funktion als eine Brücke zwischen Staat und Bevölkerung haben. Auf einer lokalen Ebene sind das Mitglieder der Kirche, Bildungseinrichtungen, lokale Politiker_innen, Aktivist_innen, die sich selbst der Nachbarschaft und „sozialer Gerechtigkeit“ verschreiben oder bloß den Nachbar_innen schmeicheln.
In einem größeren Rahmen können es bekannte Leute, mit einem bestimmten Ansehen, sein – zum Beispiel besuchte der Rapper Nelly Ferguson und hielt eine Rede auf der Straße, rief zum Frieden auf mit der Argumentation, den Rassist_innen keine Argumente durch gewalttätiges Handeln zu liefern. Glücklicherweise wurde er ausgebuht. Während der ersten Tage des Aufstands, besuchte Reverend Al Sharpton Ferguson und gab eine Pressekonferenz zusammen mit den Eltern von Michael Brown, was seinen Worten Legitimation verlieh. Al Sharpton ist ein sehr reicher schwarzer Mann mit großem sozialen Kapital und Anerkennung. Er ist ein selbsterklärter Sprecher der „Schwarzen Community in den USA“ und gilt als „radikaler Kritiker sozialer und rassistischer Ungerechtigkeit“ während er zur selben Zeit zu Frieden und zum Dialog mit den Unterdrücker_innen aufruft und Berichten zufolge Militante verpfiffen haben soll. „Fuck Al Sharpton, Fuck Obama“, schreien die maskierten Jugendlichen Fergusons. Im Alltag innerhalb der Community gibt es Leute, die die Stimmen der Menschen übertönen, indem sie als Sprecher_innen fungieren, die einen Riot beenden, bevor er überhaupt begonnen hat, indem sie eine Kultur des sozialen Dialogs predigen, der Frieden herstellen will, wo konstanter Krieg herrscht.
Sie arbeiten zusammen mit den staatlichen Autoritäten, nicht als eine Verschwörung, sondern bloß weil das der Ort ist, wo sie ihre Macht und ihr Kapital gewinnen: die Brücke zu sein zwischen den Unterdrücker_innen und den Unterdrückten, den Deckel auf dem Topf zu halten und den Fluss der Wut zu kanalisieren.
Dann gibt es noch die politischen Aktivist_innen, derenJob es ist, Politik zu machen. Es geht nicht darum, Wissen zu teilen, Strategien zu teilen, Sehnsüchte zu befreien und neue Kollektivitäten herzustellen, für sie geht es darum, Rekrut_innen für ihr politisches Programm zu finden. Für sie ist eine Menschenmenge eine Herde Schafe und sie selbst predigen die Wahrheit. In Ferguson gab es die Linken, die versuchten, sich zu organisieren und die Bewegungen zu institutionalisieren, sie in einen anderen Dialog mit der Macht zu stellen und die Organisation zur einzigen hörbaren Stimme zu machen. Da gab es die Neue Black Panther Partei, die die Komplizenschaft zwischen Schwarzen und weißen Militanten tadelte, um ihre eigene identitätsbasierte und befriedete Politik zu stärken. Diese Gruppen müssen als Teil des Aufstandsbekämpfungsprogramms gelten. „Die Bullen können mit einem Dutzend Anführer_innen oder so umgehen, sie können nicht eine Straße mit mehr als 1000 Leuten kontrollieren. […] Mit den Bullen und der Regierung zusammenzuarbeiten, um Gerechtigkeit für Mike Mike zu bekommen, ist eine Sackgasse, die absichtlich hergestellt wurde, um unsere Energie zu zerstören und uns wieder unsere Stärke zu nehmen.“, schreiben Anarchist_innen von St. Louis.
Die Aufständischen von Ferguson stellen eine Perspektive her, wenn sie die großen Medien angreifen, anstatt vor der Kamera zu reden, wenn sie ihre Stimme erheben, um Sprecher_innen auszubuhen, wenn sie mit ihren Freund_innen zusammenkommen und Pläne machen, anstatt sich politischen Gruppen anzuschließen, wenn sie sich maskieren, um ihr wahres Gesicht zu zeigen, wenn sie Bullenbesetzer_innen angreifen anstatt sie zu respektieren und wenn sie Politiker_innen negieren, anstatt Hoffnung in sie zu setzen. Es ist wichtig, die Aufständischen von Ferguson zu unterstützen und internationale Solidarität herzustellen. Nicht nur, weil wir auch mit Aufstandsbekämpfungsstrategien konfrontiert sind, sondern auch, weil wir ebenso gegen Rassismus, Klassentrennung und die Kolonisierung unserer Leben kämpfen. Ihr könnt an einen Rechtshilfefonds spenden, der von Anarchist_innen in St. Louis gegründet wurde. Das Geld geht an die in Ferguson Festgenommenen.
Nichtsdestotrotz, lasst euch vom Mut des Aufstands und der Militanten von Ferguson inspirieren. Nehmt am Kampf und an den Debatten teil, egal wo ihr seid, schickt Solidaritätsworte und -aktionen an diejenigen, die in den USA kämpfen.